10. Februar 2022 | Allgeier inovar
Die Corona-Pandemie hat, so viele Experten, der Digitalisierung einen massiven Schub verliehen – auch dem Online-Handel. Welche Folgen hat das für das Thema E-Commerce und klassische Handelsunternehmen? Wie hat sich E-Commerce im Jahr 2021 konkret entwickelt und was ist für das Jahr 2022 zu erwarten?
Hierüber sprachen wir mit Reto Baumgartner, Gründer von MySign, E-Commerce-Agentur und Softwarehaus, und Jan Koretz, Sales Manager ERP bei Allgeier inovar.

Wo steht E-Commerce zum Jahreswechsel 2022? In den letzten Jahren haben wir einen regelrechten Boom erlebt, aber ist das auch in Zukunft zu erwarten? Wird dieser Boom weitergehen?
Reto: Klar ist, dass Corona die gesamte Branche in massive Bewegung gebracht hat. Die Pandemie sorgt – ganz einfach gesagt – für einen Riesenschub. Das gilt für Konsumenten, für Produzenten wie auch für den Handel an sich. Schauen wir uns einmal die Konsumenten genauer an: Bei ihnen hat es einen massiven Veränderungsprozess gegeben.
Wir haben nicht nur erlebt, dass diejenigen, die sowieso schon Online-Handel nutzen, vermehrt im Internet einkaufen. Nein, wir haben auch gesehen, dass es viele neue, vor allem auch ungeübtere Nutzer gibt, die das Einkaufen im Internet für sich entdeckt haben. Corona bedingt waren sie gezwungen, Waren online zu bestellen, weil Geschäfte geschlossen oder die Bewegungsfreiheit eingeschränkt war.
Dabei hat gerade diese Zielgruppe gelernt, wie einfach und bequem das ist. Dieses positive Einkaufserlebnis ist die beste Grundlage dafür, Online-Handel auch zukünftig, also nach einer Rückkehr zur Normalität, zu nutzen. Will heißen: E-Commerce ist gekommen, um zu bleiben!
Gleichzeitig haben auch viele Produzenten während der Corona-Pandemie erkannt, welche Chancen E-Commerce bietet. Hier geht es um die Möglichkeiten, direkt, also ohne Zwischenhandel, mit Konsumenten in Kontakt zu treten, Kunden zu binden oder die volle Marge mitzunehmen. Das hat natürlich massive Auswirkungen auf den Handel, den dritten Player in diesem Markt.

Und welche Folgen sind das ganz konkret?
Reto: Der Druck im Handel wird immer größer. Mehr denn je geht es darum, mit der Digitalisierung, neue innovatives Konzepte zu entwickeln, Kosten einzusparen, die Administration zu vereinfachen und die Geschwindigkeit zu erhöhen. Der starke Treiber ist also einerseits der Innovationsdruck, anderseits der Zwang nach mehr Effizienz – insbesondere, da der Druck durch direkte Mitbewerber, die die Digitalisierung bereits für sich nutzen, erheblich ist. Wer im Handel heute nicht in digitale Kanäle investiert, der wird in wenigen Jahren massive Probleme haben!
Die besondere Herausforderung für den Handel ist, dass er in einer Art Sandwich-Position ist und von beiden Seiten eingeengt wird. Auf der einen Seite stehen die Konsumenten, die steigende Erwartungen an Geschwindigkeit und Service haben. Auf der anderen Seite stehen die Produzenten, die selbst in die Rolle von Handelsunternehmen rücken und den Direktzugang zum Kunden suchen. Insofern ist der Druck zu mehr Effizienz im Handel gleich mehrfach getrieben.

Wer im Handel heute nicht in digitale Kanäle investiert, der wird in wenigen Jahren massive Probleme haben.
Reto Baumgartner
Gründer von MySign, E-Commerce-Agentur und Softwarehaus

Jetzt lasst uns einmal einen Blick in die Zukunft werfen. Wie wird sich das Thema E-Commerce im Jahr 2022 entwickeln?
Jan: Wie angedeutet ist E-Commerce kein Hype oder kein Buzzword, sondern ein Boom, der noch lange anhalten wird. Laut einer aktuellen Umfrage des Branchenverbandes BITKOM kaufen vier von zehn Online-Shoppern seit Ausbruch der Pandemie mehr im Internet. Besonders relevant: 90 Prozent derjenigen, die seit der Pandemie mehr shoppen, geben an, dass sie dies wahrscheinlich auch zukünftig weiter tun wollen. Dies gilt auch für den B2B-Bereich. Gerade hier ist der Markt in großer, in sehr großer Bewegung.

Dann lasst uns Online-Shops im B2B-Bereich einmal genauer betrachten! Wohin geht der Weg hier?
Jan: Von klassischen Verkaufstools zu Serviceplattformen – so kann die Entwicklung beschrieben werden. Wir sprechen heute über Plattformen, auf denen Kunden rund um die Uhr vollen Einblick auf sämtliche Rechnungen, Bestellungen, Aufträge, Beschwerden etc. haben. Mehr noch: Als digitale Serviceplattform mit Komfortfunktionen wie individueller Preisberechnung ist der Onlineshop damit ein zentrales Element zur Kundenbindung.
Bei der Weiterentwicklung gilt: E-Commerce ist kein einmaliges Projekt mehr, sondern ein fortlaufender Prozess. Was heute aktuell ist, kann morgen schon überholt sein. Entsprechend müssen Betreiber ihre Technologien ständig weiterentwickeln. Ein zentraler Punkt hierbei: Für ein zukunftsfähiges System müssen Software-Architekturen modular aufgebaut sein, laufend weiterentwickelt werden und sich flexibel an neue Anforderungen anpassen.

Worauf ist bei der Einführung eines E-Commerce-Systems besonders zu achten?
Reto: Gerade im Handel reicht es heute nicht mehr aus, einfach einen Link auf der Website zu haben, der auf einen E-Shop verweist, wo lediglich der Produktkatalog im Internet abgebildet wird. Stattdessen geht es darum, ein E-Commerce-Erlebnis zu schaffen, bei dem die Nutzer und ihre individuellen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. So etwas wird auch Experience Commerce genannt. So müssen beispielsweise diejenigen Produktneuheiten, die den Nutzer potenziell interessieren können, prominent und im besten Fall personalisiert auf der Startseite zu finden sein.
Es braucht separate Landingpages, wo Highlight-Produkte in ausführlicher Form vorgestellt und gezielt beworben werden können. Die Produktseiten selber müssen mit Content, also mit hilfreichen Informationen angereichert werden, zum Beispiel mit Erfahrungsberichten, mit Videos, mit Hinweisen zu wichtigen Zusatzprodukten oder sogar mit ganzen Produktkonfiguratoren, womit ein Online-Shop zu einer Art Kommunikationskanal bis hin zum digitalen Berater wird. Und wie gesagt gehören auch die gesamten Servicefunktionen dazu.

Klingt von der Theorie her gut, aber die Wahrheit liegt auf dem Platz oder in unserem Fall im Netz. Wie ist eure Erfahrung mit der konkreten Umsetzung von E-Commerce-Projekten?
Reto: Sehr unterschiedlich, die Spanne ist ziemlich breit. Wir erleben immer noch Kunden, die von heute auf morgen mit einem Knopfdruck einen E-Shop verlangen und dabei einen stark technisch-getriebenen Fokus haben – also vor allem technische Anforderungen an die Lösung haben. Das ist leider oft zu kurz gedacht. Viel wichtiger sind Fragen wie: Was will der Markt? Wie lauten unsere Ziele? Was wollen wir mit dem E-Shop erreichen, kurz-, mittel- und langfristig? Und ganz wichtig: Welche Bedürfnisse hat unsere Zielgruppe? Welches Informationsverhalten hat unsere Zielgruppe?
Diese strategischen Fragen gilt es am Anfang zu klären, ehe es um die technische Lösung geht oder um die Programmierung von Funktionen. Werden diese grundlegenden Fragen nicht geklärt, was denn die Zielgruppe, also der künftige Kunde, überhaupt will, kommt es oft später zum bösen Erwachen. Man hat einen teuren Shop gebaut, der nicht funktioniert bzw. der von der Zielgruppe nicht genutzt wird, wie man das erwartet hat.

Wo steht die DACH-Region beim Thema E-Commerce?
Reto: Insgesamt lässt sich sicherlich festhalten, dass im Vergleich mit englischsprachigen Ländern oder mit dem asiatischen Raum E-Commerce noch verhältnismäßig gering ausgeprägt ist. Dies ist zu einem großen Teil historisch bedingt. Denn der persönliche Business-Kontakt, das Gespräch vor Ort mit dem Kunden – also der klassische Vertrieb – ist im deutschen Sprachraum sehr stark verankert und war in der Vergangenheit und teilweise auch heute noch sehr erfolgreich. Darum war der Zwang zu neuen Verkaufskonzepten und damit zur Digitalisierung bisher für viele nicht so groß. Gerade die Pandemie hat nun aber auch die Schwächen dieses rein klassischen Vertriebes deutlich gemacht und in vielen Unternehmen zu einem Umdenken geführt.

Gilt das auch für konservative Branchen oder bleibt hier E-Commerce eher ein Randthema?
Jan: Auch in konservativen Branchen gilt, dass der klassische Handel weiterhin einen hohen Stellenwert hat, der Vertrieb über das Internet aber kontinuierlich an Wert gewinnt. Gerade hier, etwa im Baustoffhandel, lautet „Omnichannel“ das Zauberwort.
Entscheidend für den Erfolg ist die Kombination der unterschiedlichen Verkaufswege, etwa wenn die Möglichkeit gegeben ist, mobil direkt auf der Baustelle Produkte zu suchen und zu bestellen und diese kurze Zeit später rund um die Uhr abzuholen. Baustoffboxen sind ein super Beispiel dafür, bei ihnen sehe ich noch viel Potential. Durch das Verknüpfen der Kanäle sehe ich, auch in konservativen Branche, sehr große Möglichkeiten für das Thema E-Commerce.
Reto und Jan, vielen Dank für dieses hochinteressante Gespräch zur heutigen Situation und zur Zukunft des E-Commerce.

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